Editorial von Geshe Thubten Ngawang
LIEBE LESERINNEN UND LESER,
was uns bei Redaktionsschluss am meisten beschäftigt, sind die Attentate in New York am 11. September 2001. Einige Tausend Menschen, die nichts direkt mit der Politik zu tun haben, sind dabei ums Leben gekommen. Wir trauern um die Menschen und rufen uns ihr Leiden immer wieder in Erinnerung.
Es ist die Aufgabe religiöser Menschen, Verantwortung auch für andere zu übernehmen. Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrer sind besonders gefragt. Denn es ist ihre Aufgabe, Kinder und Schüler von klein auf mit Gedanken von Liebe und Mitgefühl in Berührung zu bringen und sie daran zu gewöhnen. Aus buddhistischer Sicht kommt der Erziehung von Kindern besondere Bedeutung zu, denn die Entwicklung des Geistes hängt nicht nur von den substantiellen Ursachen im eigenen Geist ab, sondern auch von den mitwirkenden Umständen, also der Umgebung, anderen Menschen, Lehrern usw. Terror-Anschläge wie in den USA entstehen in Abhängigkeit von negativer „Geistesschulung“, durch Gewöhnung an schlechte Gedanken. Da auch in uns negative Tendenzen vorhanden sind, steuern wir mit heilsamer Geistesschulung gegen.
Natürlich versuchen wir nicht nur andere in heilsamer Richtung zu beeinflussen, wir müssen auch auf unseren eigenen Geist achten. Es ist wichtig, dass wir selbst regelmäßig Gebete machen und auf der Grundlage unserer eigenen Schulung anderen die Bedeutung des Mitgefühls und der Gewaltlosigkeit erklären. Sonst besteht die Gefahr, dass wir innerlich hart werden.
Der Buddha erklärte seinen Schülern das universelle Mitgefühl, das sich auf ausnahmslos alle Wesen erstreckt. Wir schließen in den Wunsch nach Glück und Leidfreiheit nicht nur die Opfer der Katastrophe ein, sondern auch jene, die für die Terrorakte verantwortlich sind und sie ausgeführt haben. Sie haben sich durch ihre negativen Taten sehr viel unheilsames Karma aufgeladen, das in zukünftigen Existenzen zu schlimmen Leiden heranreifen wird. Aus diesem Grund sind Gedanken der Rachsucht, wie sie auch von den Medien manchmal geschürt werden, völlig unangebracht. Stattdessen sollten wir unseren Geist in die Vier Unermesslichen Geisteshaltungen versenken, insbesondere die Unermessliche Liebe, indem wir uns stufenweise in den folgenden Gedanken üben:
1. Der unermessliche Wunsch: „Wie wunderbar wäre es, wenn alle Lebewesen Glück und die Ursachen von Glück besäßen!“
2. Das unermessliche Wunschgebet: „Mögen alle Lebewesen Glück und die Ursachen von Glück besitzen!“
3. Die unermessliche Verantwortung: „Ich selbst will bewirken, dass alle Lebewesen Glück und die Ursachen von Glück erlangen.“
4. Das unermessliche Bittgebet: „Buddhas und Lamas befähigt mich dazu mit Eurem Segen!“
Zum Schluss möchte ich Ihnen noch eine erfreuliche Mitteilung machen: Nach vielen Bemühungen ist es nun gelungen, das Meditationshaus Semkye Ling für das Tibetische Zentrum zu erhalten. Die beiden Vorstände – der Studienstiftung für Tibetischen Buddhismus und des Tibetischen Zentrums – haben sich gütlich geeinigt. Ich danke den Verantwortlichen beider Organisationen und auch allen unter Ihnen, die es durch Ihre kleinen und großen Spenden überhaupt möglich gemacht haben, dass wir das Haus in der Lüneburger Heide nun kaufen können. Meine Hoffnung ist, dass alle derzeit 509 Mitglieder des Tibetischen Zentrums, alle Mitarbeiter und Teilnehmer an den Studienkursen und Seminaren gemeinsam – wie eine große Familie – helfen, beide Häuser in Hamburg und auf dem Lande zu erhalten, als ob es um die eigene Wohnung in der Stadt oder auf dem Lande ginge. Denn wir brauchen Orte für die Geistesschulung dringender denn je.
Schwerpunkt-Thema: Die Lehrer-Schüler Beziehung