Editorial von Birgit Stratmann
Liebe Leserinnen und Leser,
wir nehmen die bevorstehende Kalacakra-Initiation des Dalai Lama in Graz zum Anlass, Ihnen das buddhistische Tantra nahezubringen. In Tibet und Buddhismus greifen wir normalerweise Themen aus den Sýtra-Belehrungen des Buddha auf. Das Tantra blieb etwas vernachlässigt, was auch damit zu tun hat, dass es normalerweise nicht öffentlich gelehrt wird. Da heute jedoch immer mehr Praktizierende des tibetischen Buddhismus Initationen nehmen und in der Öffentlichkeit über Tantra gesprochen wird, ist es nicht nur gerechtfertigt, sondern auch notwendig, in qualifizierter Form etwas über diese schwierige Praxis zu sagen und Missverständnisse auszuräumen.
Einen guten Überblick über die wesentlichen Themen des Tantra gibt Geshe Thubten Ngawang in seiner Unterweisung: „Tantra: Weisheit und Mitgefühl in vollendeter Form“. Dort lesen Sie etwas über die Voraussetzung für die Praxis, die Übung der Reinheiten, über Initationen und Verwirklichungen.
Da das Tantra als fortgeschrittenste Praxis im tibetischen Buddhismus gilt, leiden westliche Schüler manchmal unter der Diskrepanz zwischen den hohen Ansprüchen und der Wirklichkeit ihrer tagtäglichen Probleme und Hindernisse im Dharma. In dem Interview, das ich mit Kensur Geshe Ugyen Rinpoche geführt habe, finden Sie Antworten auf schwierige Fragen. Kensur Rinpoche, ein erfahrener Tantra-Meister, sagt, wie wir als buddhistische Anfänger die verschiedenen Übungen von Sýtra und Tantra in die tägliche Praxis integrieren können und welcher Nutzen sich daraus ergibt.
Wer in den Tiefen des Tantra schürfen möchte, sollte sich den Artikel des Dalai Lama zu Gemüte führen. Seine Heiligkeit erläutert in „Das Bewusstsein aus der Sicht des Tantra“, was die Grundlage für die Tantra-Praxis ist: der Geist des Klaren Lichts, den jeder Mensch im Tod normalerweise unbewusst erlebt und der schon zu Lebzeiten für die Meditation zu Nutze gemacht werden kann.
Die Missverständnisse über das Tantra sind zahlreich. Carola Roloff korrigiert einige irrige Meinungen, die im Zusammenhang mit Tantra immer wieder aufgebracht werden, zum Beispiel ob der Buddha das Tantra gelehrt hat und was Gewaltsymbole bedeuten.
Natürlich werden auch nach der Lektüre dieses Heftes noch viele Fragen offen bleiben. Gerade für die Tantra- Praxis ist es unerlässlich, sich einem qualifizierten Lehrer anzuvertrauen und sich unter seiner Führung auf den „Ozean des Tantra“ zu begeben.
Viel Freude beim Lesen