Editorial von Birgit Stratmann
Liebe Leserinnen und Leser,
Je unübersichtlicher und chaotischer sich die Welt darbietet, umso größer scheint das Bedürfnis nach innerer Ruhe und Meditation zu sein. So wachsen Angebot und Nachfrage rund um die Spirtualität. Selbst ernannte Gurus Touren durch die Welt, Kurse für Meditation und Selbstfindung werden allerorten feil geboten. Im Dickicht des spirituellen Marktes fällt es schwer, sich zu orientieren: Warum meditieren, welcher Lehrer ist der Richtige, welche Meditationsmethode passt zu meiner jetzigen Situation?
Wir haben diese Ausgabe dem Thema Meditation gewidmet und hoffen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Aus Sicht des tibetischen Buddhismus ist die analytische Meditation die wichtigste: die Kontemplation, das intensive Nachdenken z.B. über die Vergänglichkeit oder Leidhaftigkeit des Seins. Lesen Sie dazu die Unterweisung von Geshe Thubten Ngawang „Analytische Meditation: den Geist umgewöhnen“. Wer langfristige Resulate in seiner Meditationspraxis anstrebt, kommt nicht umhin, einspitzige Sammlung zu üben. In dem Artikel „Konzentration: vollkommene Sammlung im gegenwärtigen Moment“ wird beschrieben, wie man den ungezähmten Geist über neun Stufen stabilisiert.
Das Ziel der Meditation ist für Buddhisten klar: Meditation ist das Mittel, den Geist vom Leiden und den Leidensursachen zu befreien, ihn wirksam und dauerhaft zu transformieren. Wir haben darüber in dieser Zeitschrift immer wieder Erklärungen veröffentlicht. Das tibetische Wort für Meditation heißt „gom“ (sgom), Gewöhnung. Dies zeigt an, dass es nicht in erster Linie darum geht, sich Entspannung und Erholung vom stressigen Leben zu verschaffen, dass es nicht primär um die Heilung von Krankheiten geht, sondern um eine Veränderung des Geistes hin zu Weisheit und Mitgefühl. Ein stabiler, zufriedener Geist wirkt sehr unterstützend für die Meditation, während ein problembeladener Geist ein großes Hindernis ist. Auf jeden Fall muss man sich für eine kontinuierliche Meditationspraxis auf einen qualifizierten geistigen Lehrer stützen.
In dieser Ausgabe möchte ich Ihnen besonders das Interview ans Herz legen, das wir mit Takna Jigme Sangpo in Graz geführt haben. Er ist einer der am längsten inhaftierten politischen Gefangenen Tibets; er wurde im März „vorzeitig“, nach 30 Jahren Haft frei gelassen. Dass Jigme Sangpo als einer der couragiertesten Verfechter der tibetischen Unabhängigkeit gilt, konnten wir in unserem Interview spüren: Obwohl er alt ist und körperlich schwach, ist sein Geist klar und stark. Und obwohl er so viel Leiden erfahren hat, ist sein Mut ungebrochen. Nicht die Sorge um sich selbst kümmert ihn, sondern das Wohl der Tibeter und die tibetische Kultur liegen ihm am Herzen. Und so ist in Jigme Sangpo die einzigartige tibetische Kultur lebendig, für die sich so viele Tibetfreunde auf der ganzen Welt einsetzen.
Schwerpunkt-Thema: Meditation