Editorial von Birgit Stratmann
Liebe Leserinnen und Leser,
was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an den tibetischen Buddhismus denken? Viele verbinden damit auch heute noch vor allem ausgedehnte Zeremonien und Rituale, ehrwürdige Lamas, die ihren Schülern die Erleuchtung schenken, gläubige Menschen, die Gebetsmühlen drehen, Mantras rezitieren und sich mit Niederwerfungen fortbewegen. Mystische Vorstellungen von einer besseren Welt in Shangri-la umgeben auch heute noch die Religion Tibets.
In diesem Heft erfahren Sie aus berufenem Munde von tibetischen Meistern und westlichen Praktizierenden, was den tibetischen Buddhismus im Kern wirklich ausmacht, der sich eng an den indischen Buddhismus anlehnt. Geshe Lobsang Palden, Abt der Klosteruniversität Sera-Jhe, bringt es im Interview (ab S. 23) auf den Punkt: „Wenn die Lehren der großen indischen Mahayana- Meister wie Nagarjuna und Asa‡ga im Zentrum von Studium und Praxis stehen, dann sieht die Zukunft für den tibetischen Buddhismus gut aus.”
Wie stark der tibetische Buddhismus im indischen wurzelt, zeigt S.H. der Dalai Lama mit seinen Ausführungen über die Philosophie des Abhängigen Entstehens. In Anlehnung an den großen Meister Nagarjuna erklärt das tibetische Oberhaupt, wie die Wirklichkeit beschaffen ist, worin die Täuschungen bestehen, denen wir unterliegen und die uns das Leben so schwer machen. Auch zeigt er Wege, mit welchen Methoden wir uns aus der Verwirrung lösen und die befreiende Sicht der Leerheit entwickeln.
Obwohl im tibetischen Buddhismus viele wunderbare Lehren zur Verfügung stehen, trug die Religionsausübung in der Praxis nicht immer zur Harmonie in der Gesellschaft bei. Die Diskreditierung anderer Traditionen, Sektierertum und engstirniges Festhalten an den eigenen Dogmen gehörten in Tibet zum Alltag. Als Gegenbewegung entstand im 19. Jahrhundert in Kham/Osttibet die Rime-Bewegung. Rime ist eine traditionsübergreifende Erneuerungsbewegung, die einende, statt trennende Elemente der buddhistischen Traditionen betont. Jürgen Manshardt hat über die Geschichte von Rime geforscht und stellt diese interessante Strömung vor.
Im April 2007 ist das Tibetische Zentrum 30 geworden und jetzt im besten Alter, um seinen vielfältigen Aufgaben zur Vermittlung und Bewahrung des tibetischen Buddhismus in Deutschland nachzukommen. Anlässlich des Geburtstags blicken wir weniger in die Vergangenheit als vielmehr in die Zukunft: Welche Veränderungen im Tibetischen Zentrum stehen bevor? Welche Perspektiven und Chancen eröffnen sich? Lesen Sie dazu die Extraseiten in der Mitte des Hefts.
Das größte Geburtstagsgeschenk machte uns S.H. der Dalai Lama mit seiner Zusage, im Juli sieben Tage in Hamburg Vorträge zum Buddhismus zu halten. Der Dalai Lama ist seit den Anfängen Schirmherr des Tibetischen Zentrums. Er hat mit seiner kontinuierlichen Unterstützung und Inspiration einen großen Anteil daran, dass der Verein eine so gute Entwicklung genommen und auch schwierige Zeiten gemeistert hat.
Wir würden uns freuen, wenn Sie bei den Vorträgen des Dalai Lama in Hamburg dabei sind und mit uns dieses große Geburtstagsfest feiern. Übrigens gibt es jetzt auch Tageskarten für die Veranstaltungen vom 23. bis 27. Juli 2007.
Schwerpunkt-Thema: Meditation